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Ersten Beherbergungsverbote gekippt: Urteile mit Signalwirkung?

Da haben wir doch recht, oder? #Beherbergungsverbot ist schon jetzt Unwort des Jahres! #Hotelverbot #Hotellerie (Grafik: HOTELIERTV)

Stuttgart/Dresden/Hannover, 15. Oktober 2020 – Das Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat das Beherbergungsverbot gekippt. Geklagt hatte ein Urlauber aus NRW. Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht setzte das Beherbergungsverbot aus – vorläufig. Und in Sachsen strich die Landesregierung das Beherbergungsverbot kurzerhand.

Meme Beherbergungsverbot

Erstes Urteil in Baden-Württemberg
Der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit Beschluss von heute einem Eilantrag gegen das baden-württembergische Beherbergungsverbot für Gäste aus deutschen Regionen, in denen die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten wurde, stattgegeben.

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§ 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot des Wirtschafts- und Sozialministeriums vom 15. Juli 2020 (in der ab 29. August 2020 geltenden Fassung) untersagt die Beherbergung von Gästen, die sich in einem Land-, Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten oder darin ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner in den vorangehenden sieben Tagen (7-Tage-Inzidenz) überschritten wurde. Die Verordnung sieht eine Ausnahme von diesem Beherbergungsverbot vor, wenn die Gäste einen negativen Coronatest vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 3 CoronaVO Beherbergungsverbot).

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Die Antragsteller haben für die Zeit vom 16. Oktober 2020 bis zum 23. Oktober 2020 einen Urlaubsaufenthalt im Landkreis Ravensburg gebucht. Am 10. Oktober 2020 wurde im Kreis Recklinghausen, in dem die Antragsteller wohnen, die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten Sars-CoV-22 Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten. Sie wenden sich gegen das Beherbergungsverbot und tragen vor, dieses mache den Aufenthalt in der gebuchten Unterkunft – die über 2.000 € gekostet habe – unmöglich und sei daher unverhältnismäßig und willkürlich. Die Möglichkeit zur Vorlage eines negativen Coronatests diskriminiere Gäste aus Regionen mit schlechten Testkapazitäten und Familien. Es sei bei vorangehenden Testungen in der Familie nie gelungen, das Testergebnis innerhalb von weniger als 72 Stunden zu erlangen. Weiterhin müsse der Test privat bezahlt werden und belaste die Antragsteller mit ihren drei Kindern mit Gesamtkosten von 774,55 € (154,91 € pro Test) erheblich.

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Die Landesregierung (Antragsgegner) ist dem Antrag entgegengetreten. Das Beherbergungsverbot sei verhältnismäßig. Zahlreiche Ferienregionen, unter anderem in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hätten im Hinblick auf die Eindämmung des Infektionsgeschehens in der jüngeren Vergangenheit sehr gute Erfahrungen mit Reisebeschränkungen gemacht. Angesichts von mehr als 5.000 nachgewiesenen Neuinfektionen pro Tag sei aktuell nicht die Zeit, Beschränkungen zurückzunehmen.

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Der 1. Senat des VGH hat dem Antrag stattgegeben und §§ 2 und 3 der CoronaVO Beherbergungsverbot mit sofortiger Wirkung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Zur Begründung führt er aus: Das Beherbergungsverbot greife in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG ein und sei daher voraussichtlich verfassungswidrig. Eingriffszweck und Eingriffsintensität stünden nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander. Der Antragsgegner verfolge mit der Eindämmung der Pandemie den Schutz von hochrangigen Rechtsgütern. Die Vorschrift diene dazu, Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell großen Zahl von Menschen abzuwehren und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in Deutschland durch die Verlangsamung des Infektionsgeschehens sicherzustellen.

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Jedoch habe der Antragsgegner bereits nicht dargelegt, dass im Zusammenhang mit der Beherbergung ein besonders hohes Infektionsrisiko bestehe, dem mit so drastischen Maßnahmen begegnet werden müsste. Derzeit seien trotz steigender Fallzahlen in Deutschland keine Ausbruchsgeschehen in Beherbergungsbetrieben bekannt. Vielmehr sei aktueller „Treiber“ der Pandemie das Feiern in größeren Gruppen oder der Aufenthalt in Bereichen, wo die Abstands- und Hygieneregeln aufgrund räumlicher Enge, z.B. in der Schule oder in verschiedenen Wohnsituationen (z.B. Pflegeheimen oder Flüchtlingsunterkünften) nicht eingehalten würden. Die Landesregierung sei verpflichtet, fortlaufend und differenziert zu prüfen, ob konkrete Grundrechtseingriffe auch weiterhin zumutbar seien und ob das Gesamtkonzept von Beschränkungen und Lockerungen noch in sich stimmig und tragbar sei. Bis auf Clubs und Discotheken seien sämtliche Geschäfte, Freizeit- und Sporteinrichtungen, Gaststätten, Bars und Vergnügungsstätten wieder – wenn auch mit Schutzvorkehrungen – geöffnet. Dass gerade Beherbergungsbetriebe, in denen nicht zwangsläufig eine große Zahl fremder Menschen aufeinanderträfen, sondern Gäste in abgeschlossenen Räumlichkeiten ggf. mit einer überschaubaren Personenanzahl übernachteten und deren Kontaktdaten hinterlegt seien, davon ausgenommen würden, erschließe sich nicht.

Es sei den Antragstellern nicht zumutbar, sich auf die Möglichkeit verweisen zu lassen, negative Coronatests vorzulegen. Nach derzeitiger Sachlage erscheine es nicht hinreichend gewährleistet, dass ein solcher Test von Reisenden überhaupt so kurzfristig erlangt werden könne. Schon aus rein organisatorischer Sicht sei fraglich, ob dieses enge Zeitfenster, in dem eine Abstrichentnahme durch medizinisches Fachpersonal, der Transport der Proben ins Labor sowie die Übermittlung des Ergebnisses und schließlich das Erscheinen des Gastes im Beherbergungsbetrieb stattfinden müsse, überhaupt eingehalten werden könne.

Der Beschluss ist unanfechtbar (Az. 1 S 3156/20).

Beherbergungsverbot in Niedersachsen vorläufig außer Vollzug gesetzt

Der 13. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 15. Oktober 2020 in einem Normenkontrolleilverfahren die § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über Beherbergungsverbote zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Beherbergungs-Verordnung) vom 9. Oktober 2020 vorläufig außer Vollzug gesetzt (13 MN 371/20).

Der Antragsteller betreibt in Niedersachsen einen Ferienpark. Dort vermietet er auch Ferienhäuser. Mit einem Normenkontrolleilantrag vom 13. Oktober 2020 beantragte er die vorläufige Außervollzugsetzung des in § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung angeordneten grundsätzlichen Verbots, in Hotels, Pensionen, Jugendherbergen und ähnlichen Beherbergungsbetrieben sowie Ferienwohnungen, Ferienhäusern und Campingplätzen Personen aus einem vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung festgelegten und veröffentlichten Risikogebiet zu touristischen Zwecken zu beherbergen (sog. Beherbergungsverbot). Er macht geltend, die Verbotsregelungen seien zu unbestimmt und das Verbot als solches sei zur Verhinderung weiterer Corona-Infektionen nicht geeignet, nicht notwendig und auch nicht angemessen.

Dieser Antrag hatte Erfolg. Der 13. Senat stellte deutlich heraus, dass auch angesichts der derzeit stark steigenden Infiziertenzahlen in vielen Teilen des Bundesgebiets und Niedersachsens die gesetzlichen Voraussetzungen für ein staatliches Handeln durch infektionsschützende Maßnahmen erfüllt seien.

Das in der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung konkret angeordnete Beherbergungsverbot erweise sich bei summarischer Prüfung aber als rechtswidrig. Das Verbot sei schon nicht hinreichend bestimmt. Es erfasse Personen “aus” Risikogebieten, ohne festzulegen, ob diese Personen dort einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben müssten oder ein kurzzeitiger Aufenthalt genüge.

Das Verbot stelle sich auch nicht als notwendige infektionsschutzrechtliche Schutzmaßnahme dar. Angesichts des engen Anwendungsbereichs (Übernachtungen zu touristischen Zwecken in Beherbergungsbetrieben, nicht aber bloße Einreisen und Aufenthalte ohne Übernachtungen zu jedweden Zwecken, unter anderem Fahrten von Berufspendlern und Heimreisen niedersächsischer Bürgerinnen und Bürger aus Urlauben in innerdeutschen Risikogebieten) und zahlreicher Ausnahmen (unter anderem negativer Corona-Test, “triftiger Reisegrund” und Einzelfallausnahmen des Gesundheitsamts) erfasse das Verbot von vorneherein nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Reisegeschehens und könne auch nur insoweit überhaupt eine Wirkung auf das Infektionsgeschehen entfalten. Es sei zweifelhaft, ob ein derart begrenztes Verbot geeignet und erforderlich sei. Das Beherbergungsverbot beziehe sich auch auf Sachverhalte, die jedenfalls nicht offensichtlich mit einer erhöhten Infektionsgefahr verbunden seien. Dies gelte für die Beherbergung als solche, aber auch für die eigentlichen Reisen. Der Antragsgegner habe auch auf Nachfrage des Senats keine nachvollziehbaren tatsächlichen Erkenntnisse dazu präsentieren können, welche Zahl von infizierten Personen in den letzten Wochen im Bundesgebiet und in Niedersachsen auf Reisen innerhalb des Bundesgebiets zurückzuführen seien. Aber auch die in der Verordnung vorgenommene schlichte Anknüpfung an Infiziertenzahlen in einem Gebiet sei nicht ausreichend, um für alle Personen in einem solchen Gebiet eine einheitliche Gefahrenlage anzunehmen und diesen gegenüber unterschiedslos generalisierende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zu treffen. Der Verordnungsgeber müsse vielmehr vorhandene oder zumutbar zu ermittelnde tatsächliche Erkenntnisse zum Infektionsgeschehen in dem betroffenen Gebiet, etwa bei zu lokalisierenden und klar eingrenzbaren Infektionsvorkommen, in einer differenzierten Betrachtung berücksichtigen. Gegenüber Personen aus einem Risikogebiet, das außerhalb Niedersachsens liege, könne das Verbot auch tatsächlich kaum vollzogen werden. Für diesen Personenkreis gelte das Verbot nach § 1 Abs. 3 der Verordnung nur dann, wenn spätestens im Zeitpunkt ihrer Einreise nach Niedersachsen das Gebiet, aus dem sie einreisen, vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung als Risikogebiet veröffentlicht worden sei. Der danach maßgebliche Zeitpunkt der Einreise nach Niedersachsen werde aber weder dokumentiert noch sei er vom Betreiber eines Beherbergungsbetriebs nachzuprüfen.

Unter Berücksichtigung dieser Zweifel an der Eignung und Erforderlichkeit des Verbots greife dieses jedenfalls unangemessen in die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit der Betreiber von Beherbergungsbetrieben ein. Das Verbot bewirke eine gravierende organisatorische Belastung und könne zu erheblichen finanziellen Einbußen führen. Die Verbotswirkungen würden durch die Ausnahmen nicht deutlich gemildert. Insbesondere die Möglichkeit, eine Ausnahme von dem Verbot durch einen negativen Corona-Test zu erlangen, dürfte angesichts nur begrenzter theoretischer und bereits heute tatsächlich weitgehend ausgenutzter Testkapazitäten praktisch kaum zum Tragen kommen und auch der erstrebten Priorisierung von Testungen nach der Infektionswahrscheinlichkeit widersprechen.

Die vorläufige Außervollzugsetzung ist allgemeinverbindlich, d.h. die außer Vollzug gesetzten Regelungen sind von den darin genannten Beherbergungsbetrieben mit sofortiger Wirkung nicht mehr zu beachten.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Sachsen: Übernachtungen ab 17. Oktober uneingeschränkt möglich

Der Freistaat Sachsen streicht das Beherbergungsverbot. Die aktuelle Regelung, dass Einreisende aus innerdeutschen Gebieten mit erhöhtem Infektionsrisiko in Sachsen durch Beherbergungsstätten nicht mehr beherbergt werden dürfen, wird aus der sächsischen Corona-Schutz-Verordnung gestrichen. “Ab 17. Oktober 2020 sind Übernachtungen in sächsischen Beherbergungsstätten wieder uneingeschränkt möglich”, heißt es in einer Verlautbarung.